Im März 2015 bin ich Mitglied der Solawi Rhein-Neckar geworden. „SoLawi“ steht für Solidarische Landwirtschaft und ist eine Idee, die sich in den 60er Jahren von Japan aus in der Welt verbreitet hat. In den USA entwickelte sich die dort Community-supported agriculture (CSA) genannte Wirtschaftsweise jedoch unabhängig davon. Dort bestehen CSA-Gemeinschaften seit 1985, zurzeit mit etwa 1500 Gruppen. In Frankreich existiert dieses Kooperationskonzept unter dem Namen „Association pour le maintien de l’agriculture paysanne“, kurz AMAP (wikipedia).
„In der solidarischen Landwirtschaft tragen mehrere Privat-Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Durch den persönlichen Bezug zueinander erfahren sowohl die Erzeuger*innen als auch die Konsument*innen die vielfältigen Vorteile einer nicht-industriellen, marktunabhängigen Landwirtschaft.“ Netzwerk Solidarische Landwirtschaft
Solawi Rhein-Neckar
Die Solawi Rhein-Neckar gründete sich Ende 2011 und fand mit dem Markushof in Maisbach einen Hof, der ca 180 Mitglieder mit Gemüse, Milch, Fleisch, Getreide und anderem versorgen kann. Ursprünglich ist der Markushof auf Milchviehhaltung ausgelegt und arbeitet nach BIOLAND Standard. Durch die Solawi wurden 3 Landwirte angestellt, die sich zusätzlich um den Gemüseanbau kümmern.
Organisation
Es gibt verschiedene Organisationsformen: Als Verein, AG, COOP … die regional unterschiedlich organisiert sein können. Die Struktur ist aber meist ähnlich: Es gibt die Mitglieder, Depots, Arbeitsgemeinschaften (Gemüse-AG, Packteam, Kommunikations-AG, Finanz-AG …), das Plenum und die Mitgliederversammlung.
Depots
Unsere Solawi hat derzeit 12 Depots in den Stadtteilen und Ortschaften mit jeweils 3-24 Mitgliedern. Die Depotmitglieder treffen sich regelmäßig, um aktuelle Themen zu besprechen und die Abholung der Lebensmittel zu organisieren. Es gibt einen Depotsprecher. Manche Depots haben einen Raum, z.T. mit Kühlschrank für die Anlieferung, Zwischenlagerung und Verteilung. Jedes Depot organisiert sich selbst.
Mitarbeit
Bei uns ist die Mitarbeit erwünscht, aber freiwillig. Das heißt, man kann sich in den verschiedenen AGs engagieren und/oder beim Pflanzen, Pflegen und Ernten im Gemüseanbau unter Anleitung der Landwirte mithelfen. Richtwert für die Mitarbeit sind 12 Stunden im Jahr. Das Packen und Verteilen der Lebensmittel ist Aufgabe der Solawi und wird vom Packteam und den Depots (Abholen, Verteilen auf Depotmitglieder) organisiert.
Die Lebensmittel
Bei uns gibt es jede Woche Milch, Brot oder Getreide gemahlen oder als Korn/Flocken (Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer) oder verschiedene Sorten Dinkelnudeln sowie Gemüse aus eigenem Bioland-Anbau. Außerdem in Abständen von 4-6 Wochen Käse aus der eigenen Milch und Wurst und Fleisch von den geschlachteten Kühen. Im Sommer darüberhinaus verschiedene Beeren. Im Herbst gibt es Apfelsaft von eigenen Äpfeln gepresst und ein Pilzprojekt ist in Arbeit, das aber noch keine Früchte getragen hat. Der monatliche Richtwert (Mitgliedsbeitrag; variabel) liegt 2016 bei 109,70 Euros.
Meine persönlichen Erfahrungen
Wie ich zur Solawi gekommen bin und meine Grundgedanken habe ich in diesem Beitrag im März 2015 beschrieben. Skeptisch war ich, ob das Ganze wirklich funktioniert, vor allem mit 180 Mitgliedern, die sich verständigen und einigen müssen. Nach über einem Jahr bin ich immer noch Mitglied und habe viele positive Erfahrungen gemacht.
Ich habe auf dem Feld beim Pflanzen, Jäten und Ernten mitgeholfen und dabei einiges über Anbau und die Gedanken, die sich die Landwirte dazu machen, gelernt. Die Arbeit auf dem Feld ist ein prima Ausgleich zum Schreibtisch, tut gut und ist beglückend, weil man sofort sieht, was man geschafft hat. Auch der Austausch mit den andern „Erntehelfern“ ist interessant.
Absolut begeistert bin ich von dem Gemüse, das jede Woche unseren Keller und Kühlschrank füllt. Ich habe schon lange keine Möhren, Kartoffeln oder Zwiebeln gekauft. Ein Ernteanteil reicht uns gut für 2 Personen plus die montagsSuppe. Das spannende sind die Gemüsesorten, die ich vorher noch nie oder selten verwendet habe, wie z.B. Steckrüben, Pastinaken, violetter Blumenkohl, rote Bete, Grünkohl, Mangold, Radiccio, Zuckerhut oder auch Quitten.
Es ist zunächst schon eine Umstellung, denn man kauft nicht ein und kocht worauf man Lust hat, sondern muß sich überlegen was man mit dem kocht, was gerade geerntet wurde. Das führt zu neuen Gerichten und Geschmackserlebnissen und fühlt sich gut an, weil ich einen direkten Bezug zu den Zutaten habe. Natürlich kaufe ich gelegentlich Paprika, Tomaten, Pilze, Spinat und andere Gemüse, die wir nicht im Anbau haben. Aber zunächst muß ich schauen, daß ich die wöchentliche Lieferung, die je nach Saison recht üppig ausfallen kann, auf die Teller bekomme.
Die Mitarbeit in den Arbeitsgemeinschaften und Entscheidungsfindung in Plenum und Mitgliederversammlung ist (erwartungsgemäß) teilweise recht zäh und langwierig. Hier treffen viele unterschiedliche Motivationen und Ansichten aufeinander und es überrascht mich eigentlich, dass dennoch so vieles auf den Weg und vorangebracht wird und die praktischen Abläufe von einigen Ausnahmen abgesehen, so gut funktionieren.
Reflexionen
Seit ich Solawi-Mitglied bin, habe ich deutlich weniger Verpackungsabfall. Außerdem bin ich sensibel für Ernährungsthemen geworden. Das mag auch mit dem Blog (seit Anfang 2015) zusammenhängen, denn über facebook und twitter bin ich nun mit Menschen, Aktivisten und Seiten vernetzt, die sich Gedanken zu Tierhaltung, Landwirtschaft, Ernährungsarten und -mythen machen. Foodbloggen ist nicht nur eine ästhetische Frage, sondern oft begleitet von Missionen. Das führte auch bei mir zu kritischen Selbstreflexionen. „Was ist regional?“. „Ist BIO besser?“ (Unter Solawis nicht unbedingt: „Regional vor Bio“). Foodtrends wie PALEO, Farmer to plate, Infinite oder Spiritual Food, Superfoods und andere wären ohne Blog und social media an mir vorbeigegangen (was wohl nicht weiter schlimm gewesen wäre 😉 ). Die Kenntnis von Trends und Entwicklungen wie Food-Assemblys, Ackerhelden, Foodwaste, Urban Gardening und anderen bettet das eigene Tun aber in ein gesamtgesellschaftliches ein und gibt das gute Gefühl, Teil einer Bewegung zu sein, die sich für eine gute oder bessere Zukunft einsetzt, ohne gleich auf die große Pauke zu hauen. Meine Mission ist immer noch „Gemeinsam Essen“. Aber „Gemeinsam säen, pflegen und ernten“ ist mir mit der Solidarischen Landwirtschaft ein wichtiges Projekt geworden.
Seit Mai 2015 ist Fritzi übrigens auch dabei. Das ist schön!